Martin Suter: Melody

Was für Robert Seethaler das Leben der einfachen, kleinen Leute ist, das sind für Martin Suter die gehobenen Milieus, in denen seine Romane mit Vorliebe spielen. Bei der Schilderung dieser Welten, in denen Champagner fließt, die Anzüge maßgeschneidert sind und die Dialoge elegant, hat Martin Suter sichtlich eine große Freude, genauso wie darin, in diese so geglätteten Oberflächen feine Risse einzuweben, die sich mit Hintersinn füllen lassen.

Auch in Melody werden im Hause, nein, in der Villa des ehemaligen Weltmannes Dr. Peter Stotz edle Tropfen kredenzt, köstliche Gerichte von einer ergebenen italienischen Köchin serviert und die Millionen ebenso wie die edlen Oldtimer an die Erben vermacht. Was außerdem vermacht werden soll, ist die Deutungshoheit über das Leben des in Politik- und Finanzkreisen berühmt und reich gewordenen Dr. Stotz, der kurz vor seinem absehbaren Tod einen jungen Juralangzeitstudenten gegen Kost und Logis und ein immenses Honorar engagiert, seinen Nachlass zu sichten und für die Nachwelt zu ordnen. In vertraulichen Kamingesprächen offenbart er dem jungen Mann nach und nach den Teil seiner Lebensgeschichte an, der in dem zu sichtenden Ordnerchaos eine Leerstelle bleibt — seine große, verlorene Liebe zu einer Frau, die sich Melody nannte, die er in einer Buchhandlung kennenlernte und die kurz vor der geplanten Heirat scheinbar spurlos verschwand. Diese wie ein Feuilletonroman von Kamingespräch zu Kamingespräch fortgesetzte Liebesgeschichte baut Suter als zweite Erzählebene in seinen Roman ein, der natürlich gegen Ende auch noch in eine dritte mündet, in der alle Gewissheiten der ersten und zweiten erschüttert werden. In dem Wein, der im Hause Stotz eingeschenkt wird, liegt weniger die Liebe zur Wahrheit als zur Fiktion, mit der Suter, wie seine immer zwielichtigere Hauptfigur, sein fiktionsironisches Spiel treibt.

Das alles liest sich unbestreitbar süffig wie die Spirituosen in der Villa Stotz, auch wenn mir, im Vergleich mit früheren Romanen wie Elefant oder Small World, ein wenig die thematische Komplexität gefehlt hat. Es ist dann doch eine sehr selbstreferentielle Erzählung geworden, eine Feier der Fiktion, in der Lebenslügen und Liebesfluchten zur intelligenten Unterhaltung der Leser gesponnen werden.

Bibliographische Angaben
Martin Suter: Melody, Diogenes 2023
ISBN: 9783257072341

Bildquelle
Martin Suter, Melody
© 2023 Diogenes Verlag AG, Zürich

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