bookmark_borderHannes Köhler: Zehn Bilder einer Liebe

Irgendwie sehr vertraut kommt sie einem vor, diese Geschichte einer modernen Liebe, einer heutigen Paarbeziehung, erzählt in den titelgebenden zehn Bildern, Momentaufnahmen aus den letzten zehn Jahren, vom Moment der ersten Begegnung von Luisa und David bis zu einer sich am Romanende in die Zukunft öffnenden Gegenwart. In jedem Kapitel, jedem Bild, jeder Szene, könnte man sagen, werden nacheinander die Perspektiven beider Liebender zur Sprache gebracht, die manchmal mehr Verzweifelnde, Bangende, Hadernde, aber fast immer auch Hoffende sind.

Der im Grunde kontingente Kernkonflikt, an dem die Paarbeziehung ins Schwanken gerät, ist der Kinderwunsch von David, in den beide, wohl zurecht, mehr hineininterpretieren als die scheinbar ganz natürliche Folge einer romantischen Beziehung. Denn mit Ronya, der Tochter von Luisa und Holger, Luisas Exmann, ist schon ein Kind in der Beziehung, ein Kind, zu dem David in behutsamer und wie selbstverständlicher Annäherung auch eine väterliche Bindung aufgebaut hat. Warum genügt ihm das nicht? Sind sie denn nicht bereits eine Familie? Soll Luisa mit einem weiteren Kind riskieren, ihre beruflichen Ambitionen wieder zurückstecken zu müssen, woran die Beziehung zu ihrem Exmann zerbrochen ist? Auch David treiben Ängste um, die seine Sehnsüchte bis zur Ununterscheidbarkeit überlagern. Wie fragil und von Verlust bedroht ist die Bindung zu einer nicht leiblichen Tochter? Hinzu kommen die Kräfte zehrenden und an der Liebe zerrenden Fertilitätsbehandlungen, all die körperlichen und psychischen Strapazen, die auf David und Luisa zukommen, als es mit einer natürlichen Schwangerschaft zunächst nicht klappen mag.

Das Kinderwunschthema ermöglicht es gut, weitere Herausforderungen und Zündstoffe einer modernen Beziehung zu verhandeln, es geht um männliche und weibliche Rollenbilder, um Mutterschaft und Arbeit, die Vereinbarkeit von Familie, Beruf, die Aufgabenverteilung innerhalb einer Familie, um Vaterrollen, um Elternschaft, um die Herausforderungen von Patchworkkonstellationen,…

Erzählerisch handelt es sich eigentlich weniger um Bilder, auch wenn der Autor mitunter welche heraufbeschwört, die einem eine Weile im Gedächtnis bleiben, wie zum Beispiel das der tanzenden Luisa vor griechischer Sommerurlaubskulisse, und mehr um Dialoge und Reflexionen, es geht um das Miteinandersprechen oder eben um das Verschweigen, die Hürden der Kommunikation, an der sich jede enge Beziehung auf ihre Weise abarbeiten muss, und es geht um all die Gedankenspiralen, die Erwartungen und Ängste, die in einem fortdauernden inneren Monolog, von dem nur ein Bruchteil nach außen dringt, verhandelt werden.

Auffällig und wahrscheinlich zeittypisch finde ich die (Selbst-)Reflektiertheit der Figuren, die ihre Gefühle und Sorgen wenig für sich stehen lassen, sondern nach Erklärungen, Rechtfertigungen, Einordnungen suchen, sie ins Verhältnis setzen, es als ihre innerste Verantwortung betrachten, Perspektivwechsel vorzunehmen, dann mitunter darunter leiden, wenn es ihnen schwerfällt, und überhaupt trotz ihrer starken Gefühle sehr vernünftig, sehr aufgeklärt wirken. Wenn der Roman die Möglichkeiten der Liebe in unserer Zeit auslotet, so entwirft er das Möglichkeitsbild einer Romantik der aufgeklärten Liebe.
Die Konstruktion der zehn Bilder, in denen den Perspektiven von Mann und Frau jeweils gleichberechtigt Raum gegeben wird, mag dazu verleitet haben, das irgendwie ja auch immer anarchische Thema der Liebe etwas zu thesenhaft darzustellen. Es ist wenig Platz für literarische Überraschung und Abseitigkeit. Doch berührt der Roman viele wunde Punkte unserer Gegenwart, reflektiert sie auf nachdenkliche, vielseitige Weise, und nimmt seine Figuren und ihre Nöte auf einfühlsame und doch unaufgeregte Weise ernst.

Bibliographische Angaben
Hannes Köhler: Bilder einer Liebe, Frankfurter Verlagsanstalt 2025
ISBN: 9783627003265

Bildquelle
Hannes Köhler, Bilder einer Liebe
© 2025 Frankfurter Verlagsanstalt GmbH, Frankfurt am Main

bookmark_borderUlrich Woelk: Mittsommertage

Es ist schon interessant, dass die Corona-Pandemie einige literarische Texte inspiriert hat, in denen sich das Krisenhafte in Paarbeziehungen manifestiert; die Erfahrung der Isolation legt augenscheinlich auch literarisch das Kammerspielhafte nahe, das wiederum Unstimmigkeiten und Missklänge zum Vorschein bringt, über die man ohne äußere Krise vielleicht weiter hinweggelebt hätte. Wie in Daniela Kriens gleichfalls während der Pandemie spielendem Roman Der Brand (vgl. Rezension vom 23.5.2023) beschränkt sich die Erzählgegenwart in Ulrich Woelks Mittsommertage auf genau eine Woche im Leben eines Paares, das schon lange zusammen ist und bisher eigentlich ziemlich gut miteinander ausgekommen ist. Und auch wenn die Pandemie in Woelks Roman an der Oberfläche keine große Rolle spielt und der Handlungsrahmen der Geschichte über den kleinen privaten Beziehungskern weit hinausreicht, beherrscht ein wachsendes Gefühl der Isolation das Fühlen und Handeln der Protagonistin. Während diese beginnt, scheinbar irrelevante Vorfälle als Vorzeichen für eine sich ankündigende Krise in ihrem Leben zu deuten, macht der Erzählverlauf deutlich, dass sich in dieser persönlichen Krise einer glücklich verheirateten und beruflich erfolgreichen Frau übergreifendere Krisensymptome unserer Gegenwart spiegeln. Gerade das Ineinandergreifen von Privatem und Politischen macht diese Romane überhaupt relevant und lesenswert, wobei Ulrich Woelk im Vergleich zu Daniela Krien noch ein bisschen politischer schreibt.

Ein literarisches Gespür für die individuellen Auswirkungen gesellschaftlicher Veränderungen hat Ulrich Woelk schon in Der Sommer meiner Mutter in einer beeindruckenden Erzählung unter Beweis gestellt, in der er eine berührend-ehrliche coming-of-age-Geschichte auf überzeugende Weise mit einer so beispielhaften wie traurigen Emanzipationsgeschichte verschränkte: Während die Mondlandung eine ganze Welt in Atem hält, lernt ein Junge zusammen mit einem älteren Nachbarsmädchen das im Umbruch begriffene und verwirrende Geschlechterrollenverständnis kennen, das von seiner Mutter, in mehrfacher Hinsicht die heimliche Hauptfigur der Erzählung, zur allgemeinen Bestürzung infrage gestellt wird. Der gesellschaftliche Aufbruch überkreuzt sich hier mit einer privaten Tragödie, die einem vor allem deshalb so nahegeht, weil Ulrich Woelk die Perspektive des Jungen erzählerisch-stilistisch in großer Glaubwürdigkeit einzunehmen versteht.

Für Mittsommertage wählt Woelk die Perspektive der Protagonistin Ruth, und auch diesmal gelingt die literarische Einfühlung wieder ganz wunderbar, ja der Roman ist ein schönes Beispiel dafür, dass gute Literatur geschlechtsunabhängig ist, dass sich ein männlicher Autor auch in eine weibliche Erzählerin hineinversetzen kann, und umgekehrt.

Wer ist nun dieses Paar, dessen Welt innerhalb einer Woche aus den Angeln gehoben wird? Die Erzählerin Ruth ist Professorin für Umweltethik an der philosophischen Fakultät in Berlin und wurde, eine Auszeichnung ihrer fachlichen und zwischenmenschlichen Kompetenz, gerade frisch in den Ethikrat gewählt. Ihr Mann Ben erfährt gerade seinerseits berufliche Anerkennung, er hat mit seinem Büro einen wichtigen Architekturwettbewerb gewonnen. Seine Tochter, Ruths Ziehtochter, ist vor kurzem ausgezogen, eine klimabewusste Studentin, die sich für students for future engagiert. Soweit die alles andere als umwälzenden und ja eigentlich eher vielversprechenden Veränderungen im Leben der kleinen Familie. Zu Beginn der Erzählung steht jedoch ein auf den ersten Blick nebensächlicher Vorfall; Ruth wird beim frühmorgendlichen Joggen von einem Hund angesprungen und gebissen. Die Verletzung nimmt sie mehr mit, als sie gedacht hätte, körperlich und psychisch, und die anfängliche Irritation darüber nimmt mehr und mehr die Gestalt einer nachhaltigen Verstörung an, einer existentiellen Verunsicherung, die sich im Lauf der Woche in kleinen und größeren Katastrophen in ihrem Leben Bahn bricht.

Woelk verleiht seinem schmalen Roman eine große Dichte, indem er verschiedene Einflüsse aus Vergangenheit und Gegenwart ineinandergreifen lässt. So war Ruth als Studentin, halb aus Liebe, halb aus politischer Überzeugung, selbst an einer illegalen umweltaktivistischen Aktion beteiligt, die ihr jetzt, da sie eben in den Ethikrat gewählt worden ist, zum Verhängnis zu werden droht. Immer wieder überkreuzen sich persönliche und politische Motive, auch die Liebe existiert nicht unabhängig von ethischer Verantwortung. Die Protagonisten von Mittsommertage sind, wie auch diejenigen in Daniela Kriens Roman Der Brand, allesamt intellektuelle, gesellschaftsbewusste Menschen, die ihr Denken und Handeln reflektieren und dennoch die Macht des Gefühls bisweilen unterschätzen. Auch weil der Autor dieses Spannungsverhältnis in die Entwicklung der Handlung einfließen lässt, vermeidet er die durchaus naheliegende Gefahr eines Thesenromans. Nicht zuletzt ist es der sehr lebensnah und glaubwürdig gestalteten Erzählerin zu verdanken, dass man die zahlreichen philosophisch-ethischen und politischen Fragen und Zweifel fast unwillkürlich und mit intellektuellem Gewinn mit ihr zusammen durchlebt und durchdenkt.

Bibliographische Angaben
Ulrich Woelk: Mittsommertage, C. H. Beck 2023
ISBN: 9783406806520

Bildquelle
Ulrich Woelk, Mittsommertage
© 2024 Verlag C.H.Beck oHG, München

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