bookmark_borderSally Rooney: Intermezzo

Dass das Leben nicht immer geradlinig verläuft, kann man als Binsenweisheit betrachten. Und dennoch ist es eine Erfahrung, die, obwohl sie sich seit Generationen endlos wiederholt, uns Menschen immer wieder von neuem überrumpelt und deshalb natürlich auch unerschöpflichen Stoff für Romane bereithält. In Widerspruch mit der Gesellschaft, mit einer von außen oder auch selbst gesetzten Moral, mit einer wie auch immer gearteten Normalität zu geraten, ist eine oft konfliktreiche, schmerzhafte Erfahrung, die uns die Romanfiguren nicht abnehmen können. Aber wenn sie literarisch einfühlsam und überzeugend gestaltet sind, fühlt man sich beim Lesen vielleicht ein bisschen weniger allein, als wäre man im Gespräch mit einem guten Freund.

Wie in ihren früheren Romanen erzählt die irische Autorin Sally Rooney in Intermezzo einfühlsam und auch sehr packend von Anziehungskraft, von Verlangen, von Zuneigung jenseits geradliniger, gesellschaftskonformer Biographien. Im Zentrum steht diesmal aber keine Freundschaft, wie zuletzt in Schöne Welt, wo bist du (vgl. Rezension vom 8.2.2024), sondern die Beziehungsgeschichte zweier auf den ersten Blick sehr ungleicher Brüder, Ivan und Peter. Ivan ist Anfang 20, ein eher introvertierter junger Mann, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und mit Leidenschaft und ziemlich viel Talent Schach spielt. Sein deutlicher älterer Bruder Peter ist Anfang 30, ein erfolgreicher junger Anwalt, Gutverdiener, der sich in ganz anderen gesellschaftlichen Kreisen bewegt. Die Handlung setzt ein, kurz nachdem der Vater der beiden gestorben ist. Von Beginn an legt sich der Schatten der Vergänglichkeit über die Beziehungswirren, wodurch einiges Schmerzhaftes anders, melancholischer, auch schärfer, herausgearbeitet wird, als dies in Rooneys Vorgängerromanen passiert ist. Es geht um Trauer, um Verlust, um Verletzungen, und um den Umgang damit. Denn wenngleich Ivan und Peter ein unterschiedlich inniges Verhältnis zu ihrem Vater hatten, wirft die Trauer das Leben und die Beziehungen beider Brüder ziemlich heftig durcheinander, konfrontiert sie mit sich selbst und auch miteinander, mit ihrem seit Jugendzeiten angespannten Verhältnis.

Ivan, der sehr eng mit seinem Vater war, lernt ausgerechnet in der Trauerphase eine Frau kennen, entbrennt in Liebe und muss nicht nur zwei so unterschiedliche wie intensive Gefühlszustände in sich miteinander in Einklang bringen, sondern außerdem damit umgehen, dass diese neue und so leidenschaftliche Liebe auch in anderer Hinsicht Konventionen verletzt. Margaret, so ihr Name, ist deutlich älter als er und hat sich erst vor kurzem von ihrem alkoholsüchtigen Mann getrennt. Mit großem Aufwand versuchen die Liebenden ihre Beziehung, deren Entstehen sie nicht abbremsen können und auch nicht wollen, zu verheimlichen.

Auch Ivans älterer und scheinbar so viel lebenstüchtigerer Bruder Peter hat sein Leben nicht wirklich unter Kontrolle. Seit einem Jahr ist er in einer halboffenen Beziehung mit einer deutlich jüngeren, freizügig lebenden Studentin, Naomi. Da sie einem anderen Milieu entstammt, will es Peter lange Zeit nicht wahrhaben, dass er sich ernsthaft in sie verliebt haben könnte. Die beiden tun so, als hätten sie eine rein sexuelle Beziehung, Peter unterstützt Naomi finanziell und flüchtet sich weiterhin in das Gespräch und in die lang vertraute Nähe seiner Exfreundin Sylvia. Sylvia ist seine große, nie überwundene Liebe, sie hatte vor einigen Jahren einen Unfall mit lebenslangen Verletzungen und anhaltenden Schmerzen, die ihr ein „normales“ (Liebes-)Leben unmöglich machen. Ihre Liebesbeziehung hatte Sylvia damals beendet, trotzdem macht Peter sich noch immer Hoffnungen, dass aus ihrer besonderen Freundschaft eines Tages wieder mehr werden könnte.

Ungeachtet der modern anmutenden äußeren Form der Beziehungskomplikationen, die an Eva Illouz‘ philosophische Analysen von Liebe und Verbindlichkeit im 21. Jahrhundert erinnern, ist Intermezzo im Grunde ein psychologischer Entwicklungsroman. Der Titel spielt auf eine begrenzte, entscheidende Spanne im Leben an, eine Zwischenzeit, in der vieles noch ungeklärt, unausgesprochen, unverarbeitet ist, in der die Figuren, die noch in der Luft hängen, motiviert werden, ihr Leben, wie auch immer, zu gestalten. So begreifen Ivan und Peter allmählich, dass sie nicht glücklich damit werden, wenn sie sich aus dem Weg gehen und hassen, ja, dass die an den Tag gelegte Gleichgültigkeit am Schicksal des anderen nicht ehrlich ist, und dass sie, so schwer es angesichts all der gegenseitigen Verletzungen scheint, aufeinander zugehen wollen, um all das Unausgesprochene endlich zur Sprache zu bringen. Fast schien es mir am Ende des Romans, dass trotz der wirklich innig geschilderten Liebe zwischen Ivan und Margaret die eigentliche Liebesgeschichte diejenige zwischen den beiden Brüdern ist. Von Enttäuschung bis zum Geständnis, von Unsicherheit über Ablehnung, Wut bis zur innigen Zuneigung ist die Geschichte der beiden Brüder voller Emotionen und Projektionen, die sich auf unterschiedliche Weise in den anderen Beziehungsgeschichten spiegeln, die die Autorin um diese zentrale Geschichte herum gruppiert hat.

Der dialogische Stil erinnert übrigens wieder sehr an Rooneys frühere Romane, die Form von Gesprächen mit Freunden, so der Titel ihres ersten Romans, oder wahlweise unter Brüdern oder Liebenden, ist die Ausdrucksweise, die ihr liegt und die es ihr, mit der wechselnden inneren Perspektive der verschiedenen Liebes- und Gesprächspartner, ermöglicht, nicht nur in die Innenwelt der Brüder, sondern ergänzend auch in die der mit ihnen in Beziehung stehenden Frauenfiguren einzutauchen, uns die Ängste, Sorgen, Vorbehalte, Enttäuschungen, Ausflüchte, Sehnsüchte und Wünsche ihrer Figuren so nahezubringen, als wären wir mit ihnen befreundet.

Bibliographische Angaben
Sally Rooney: Intermezzo, Claassen 2024
Aus dem Englischen von Zoë Beck
ISBN: 9783546100526

Bildquelle
Sally Rooney, Intermezzo
© 2025 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

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