Die Dame mit der bemalten Hand ist ein historischer Roman der besonderen Art aus der amüsant eigenwilligen Feder der Autorin, die ihre erst sorgsam recherchierten Figuren und Stoffe dann gerne parodistischen, fast grotesken Kontexten aussetzt.
Hier treffen zwei Figuren aus Welten, die nicht unterschiedlicher sein könnten, aufeinander, und das an einem Ort — einer indischen Insel namens Elephanta — an dem beide nur durch Zufall gestrandet sind: der deutsche Mathematiker Carsten Niebuhr, der letzte am Leben verbliebene Teilnehmer einer europäischen Forschungsexpedition, der sich zum wiederholten Mal im Sumpffieberdelirium dem Tode nähert, und der persische Astronom — und Meistererzähler — Musa al-Lahuri. Die beiden verständigen sich, mit vielerlei Missverständnissen und doch großer Intensität, in vielen verschiedenen Sprachen, und diese Sprachverwirrung und Thematisierung der manchmal erstaunlicherweise auch gelingenden, oft aber scheiternden Kommunikation ist das eigentliche Thema des Buches. Denn zur Verständigung braucht es mehr als die Beherrschung eines linguistischen Systems. Wenn der kulturelle Hintergrund dem anderen unbegreiflich ist, wenn selbst die Sterne, zu denen alle gleichermaßen hinaufschauen, unterschiedliche Bezeichnungen und Bedeutungen haben, ist es schwer, dem anderen zu erklären, was man eigentlich fühlt und denkt und vorhat. Wobei es, etwa angesichts des Todes, zwischen den beiden Protagonisten des Romans ab und an Momente gibt, in denen ein zwischenmenschliches Einfühlen und Verstehen aufblitzt, das im Kontext einer ansonsten häufig absurd anmutenden Begegnung sehr berührend wirkt. Die Autorin wählt somit einen ungewöhnlichen und erhellenden Blickwinkel auf eine die Weltgeschichte bis heute beeinflussende Entwicklung, indem sie den europäischen Forscherdrang auf tragikomische Weise zeigt und seine ignorante Überheblichkeit, aber auch seine optimistische Naivität und Neugier beleuchtet.
Am Ende schließt sich ein Kreis, wird die Erzählung an ihren Anfang zurückgeführt und ironisch in der Fiktion, im Erzählen an sich verankert. Dieses Erzählen, in dem sich nicht nur Musa als Meister erweist — auch Carsten Niebuhr schreibt zurück in der Heimat seine Erlebnisse in der Ferne nieder — trägt stets auch die Lüge, das Ausschmücken, das Erfinden in sich: für die einen ein Ärgernis, für die anderen der besondere Reiz. Und ist nicht auch die Wissenschaft an Erzählungen und situationsbedingte, weltanschauliche Fragestellungen gebunden?
Christine Wunnicke jedenfalls relativiert und hinterfragt in ihrem Roman auf unterhaltsame und provozierende Weise unseren Blick auf die Welt und auf den anderen.
Bibliographische Angaben
Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand, Berenberg 2020
ISBN 9783946334767
Bildquelle
Christine Wunnicke, Die Dame mit der bemalten Hand
© 2020 Berenberg Verlag GmbH, Berlin