Wolf Haas: Eigentum

Wenn Wolf Haas die Lebensgeschichte seiner Mutter in Erzählform packt, dann ist klar, dass daraus kein pathetischer Roman entsteht, auch wenn das Leben seiner Mutter, die 1923 in ein es nicht gerade gut mit ihr meinendes Jahrhundert geboren wurde, durchaus Stoff dafür bereitgehalten hätte: Im zarten Mädchenalter aus einer kinderreichen Familie als Dienstmagd zu einem wohlhabenderen Bauern in Pflege gegeben, als junge Frau im Krieg zum Arbeitsdienst nach Deutschland verschickt, mit einem Baby im Bauch die Schweiz verlassend, wo sie als Nichtschweizerin noch dankbar für den mageren Lohn sein musste, den sie verdiente, aus dem inzwischen auch mit ihren hart erarbeiteten Ersparnissen neu erbauten Elternhaus bald wieder verjagt, hat sie erst spät im Leben einen eigenen Platz gefunden, und auch der war sehr beschränkt — und nur zur Miete.

Doch Haas, der das wohlmeinend-kategorische Diktum seines älteren Dichterkollegen, „Lass weg, Haas“, mit einer deutlichen Spur Selbstironie verinnerlicht hat, geht die Sache anders an. In nüchtern-charmantem Wolf-Haas-Ton, der hier doch trotz aller schroffen, kratzbürstigen Direktheit auch eine nicht wegzuschreibende Sohnesliebe zur inzwischen kurz vor dem Tod stehenden Mutter durchscheinen lässt, erinnert er sich bei einem Besuch in seinem Geburtsort, der nun auch der Sterbeort seiner Mutter wird, und während er eigentlich eine Poetikvorlesung konzipieren will, an die oft mantraartig wiederholten Bruchstücke von Erzählungen und Lebensweisheiten, die seine Mutter ihm, seit er denken kann, wieder und wieder in ihrem vom Autor natürlich köstlich wiedergegebenen österreichischen Dialekt vorgebetet hat, so dass schon der kleine Wolf Haas ihre einer vielfach enttäuschten Hoffnung erwachsenen Glaubenssätze zum Sparen und Erwerben eines eigenen Heims verinnerlicht hat. Ironischerweise wird ihr der lebenslang gehegte Wunsch erst nach dem Tod erfüllt, ihr erstes Eigentum sind die paar Quadratmeter Friedhofserde, in die sie als Tote gebettet wird, was ihr am Ende ihres Lebens zur anfänglichen Irritation ihres Sohnes ein Grund zur Genugtuung wird.

Das Reflektieren solcher absurd wirkender und doch in voller Überzeugung gelebter Glaubenssätze ist der Gegenstand der Erzählung, in der mal schalkhafte, mal bitterböse Ironie und anteilnehmende Rekonstruktion eines vom Schicksal durcheinander gewirbelten Lebens einander nicht ausschließen.

Bibliographische Angaben
Wolf Haas: Eigentum, Hanser 2023
ISBN: 9783446278332

Bildquelle
Wolf Haas, Eigentum
© 2023 Carl Hanser Verlag, München

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