Harald Martenstein: Wut

Ich kannte Harald Martenstein bisher als Autor humorvoll-satirischer Kolumnen zu allen möglichen Erscheinungsformen des kulturellen und alltäglichen Lebens in unserer bisweilen sehr aufgeregten Gesellschaft. Gespannt war ich daher, wie er einen Roman gestalten würde, der dem Klappentext zufolge ja ein ganz schön hartes Thema verhandelt, eine Mutter-Sohn-Geschichte, die von Gewalt, von Schlägen und Wut, durchzogen ist.

Erzählt wird die Lebensgeschichte des als Kind misshandelten Jungen Frank und auch die seiner ihn misshandelnden Mutter. Der Junge wächst bei seiner teils allein, teils im Beisein anderer Männer erziehenden Mutter auf, die eine große und vor allem unberechenbare Wut in sich trägt, die der kleine Frank immer wieder an Körper und Seele zu spüren bekommt. Unauslöschlich sind vor allem die psychische Folgen, eine vielleicht nach außen gar nicht so sichtbare soziale Verwahrlosung des heranwachsenden, dann älter werdenden Mannes. Seine tief verinnerlichte Beziehungsangst geht, wie auch die in ihm schwelende Wut, auf ein Trauma zurück, das auf ihre Weise schon seine Mutter als junges Mädchen während und nach dem Krieg durchlebte, als ihr, zwischen wechselnden Betreuungspersonen herumgereicht, fast jede Chance genommen wurde, zu einer unversehrten und selbstbestimmten Frau heranzuwachsen.

Der Roman, dessen Fiktionalität der gleichwohl sehr autobiographisch wirkende Ich-Erzähler selbst eingangs hervorhebt und mit der romanesken Auflösung der Geschichte am Ende unter Beweis stellt, geht auch wirklich mit der gleichen Zuspitzung vor, die man aus Martensteins Kolumnen kennt. Der Ton ist vordergründig bissig, ironisch und vor allem sehr direkt und ungeschönt. Gerade so gelingt es Martenstein jedoch, dahinter eine gewisse Verletzlichkeit, eine Zerbrechlichkeit aufscheinen zu lassen, ja man möchte fast das hier gar nicht pathetisch verwendete Wort Liebe in den Mund nehmen, die an manchen Stellen die raue, einem beim Lesen ganz schön nahgehende und immer wieder schockierende Erzählung durchbricht. Da außerdem immer wieder das Komische noch im Brutalsten seinen Platz einfordert und sich in diesem Buch nicht der Teufel, sondern der traurig-witzige Clown im Detail versteckt, macht einem das die Lektüre zu einem vielleicht nicht leichten, aber keineswegs völlig niederschmetternden Abenteuer, in dem man erfolgreich daran gehindert wird, eindeutige Urteile und Täter-Opfer-Unterscheidungen zu fällen.

Bibliographische Angaben
Harald Martenstein: Wut, Ullstein 2021
ISBN: 9783550201202

Bildquelle
Harald Martenstein, Wut
© 2021 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

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