Joël Dicker: Das Geheimnis von Zimmer 622

Joël Dickers neuer Roman, in dem ein Schriftsteller namens Joël, der vor ein paar Jahren einen weltweiten Überraschungserfolg mit seinem zweiten Roman Die Wahrheit über den Fall Harry Québert feierte, einen neuen Roman zu Ehren seines kürzlich verstorben Verlegers Bernard de Fallois zu schreiben beginnt, erschien letztes Jahr im Verlag Editions de Fallois, zwei Jahre nach dem Tod von Bernard de Fallois, dem Verleger und väterlichen Freund des jungen Schweizer Schriftstellers, der mit seinem zweiten Roman Die Wahrheit über den Fall Harry Québert tatsächlich einen überraschenden Welterfolg feierte.

Aber Achtung! So augenzwinkernd Joël Dicker hier auch ein Spiel mit den Ebenen von Fiktion und Realität, von Dichtung und Wahrheit treibt, die verschachtelte, wendungsreiche und turbulente Agenten-, Liebes- und Bankiersgeschichte, die er hier entspinnt, ist dann doch wieder ganz das kreative Produkt seiner schriftstellerischen Imagination, die der Autor in seinen Vorgängerromanen bereits mehrfach bewiesen hat. Die Ausgangskonstellation erinnert an seine anderen Romane, ein unglücklich verliebter Schriftsteller trifft in einem distinguierten Hotel in den Schweizer Bergen nicht weit von Genf, dem Palace de Verbier, eine spitzfindige und abenteuerlustige weibliche Muse, und gemeinsam machen sie sich auf die Spur des geheimnisvollen Mordes, der vor vielen Jahren in eben jenem Hotel auf Zimmer 622 geschah. Puzzlestück für Puzzlestück setzen sie die Geschehnisse zusammen und gehen dafür auch immer weiter in die Vergangenheit zurück, um die verwickelten Intrigen rund um eine Schweizer Bankdynastie zu entwirren. Anfangs meint man, dem Schriftsteller beim Entstehen des neuen Romans direkt über die Schulter schauen zu können — doch so ganz passt das alles dann doch nicht zusammen, woher kommen die Wissensvorsprünge des Erzählers, warum bleibt seine selbst ernannte attraktive Agentin und Co-Ermittlerin so seltsam abstrakt? Und ist der Teufel wirklich ein machthungriger Bankier oder verbirgt sich jemand ganz anderes dahinter?

Joël Dicker ist ein Meister der Konstruktion und sein neues Buch wieder ein äußerst unterhaltsames, bis zur letzten Seite spannendes Intrigenspiel, bei dem der Teufel die Kunst der Maskerade so virtuos beherrscht wie der Schriftsteller das spannungserzeugende Ineinander der verschiedenen Erzählebenen. Immer wenn es romantisch wird, nähert der Roman sich zwar auch dem Kitsch an, doch dient eben diese etwas gröbere Figurenzeichnung, das immer etwas Überzogene, zu dick Aufgetragene dann an anderer Stelle auch wieder so manch köstlicher Gesellschaftssatire. Denn in dieser Welt des äußeren Glanzes, im Milieu der Reichen, Mächtigen und Schönen, die im Dunstkreis der Schweizer Finanzwelt ihren Intrigen nachgehen, ist hinter den Kulissen und den zur Schau getragenen Rollen so einiges am Brodeln. Kein Wunder, dass sich in diesem Biotop auch so mancher Hochstapler tummelt, von denen einer ganz besonders talentiert ist und das Spiel um Geld und Macht, das letztlich alle spielen, zur Perfektion getrieben hat.

Nach über 500 atemlos durchjagten Seiten löst sich dann, teils im fiktionsironischen Wortsinne, teils aber auch in romantischem Wohlgefallen, alles endgültig auf…

— Noch ein Nachtrag: Mein absoluter Liebling von Dicker bleibt Die Geschichte der Baltimores, hier finde ich die Figurenpsychologie einfach am stimmigsten, das Ineinander und Gegeneinander der beiden Familienzweige einfach faszinierend erzählt! Aber auch Die Wahrheit über den Fall Harry Québert, auch Das Verschwinden der Stephanie Mailer sind richtige Schmöker, die ich jedem, der intelligent unterhalten werden will, wärmstens empfehle! Übrigens lesen sie sich auch gut im Original, wer gewisse Vorkenntnisse hat, kann hier ganz nebenbei auch noch wunderbar sein Französisch auffrischen.

Bibliographische Angaben
Joël Dicker: Das Geheimnis von Zimmer 622
Aus dem Französischen von Michaela Meßner und Amelie Thoma
ISBN: 9783492070904

Bildquelle
Joël Dicker, Das Geheimnis von Zimmer 622
© 2021 Piper Verlag GmbH, München


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