bookmark_borderCatherine Cusset: Janes Roman

Ein eigenwilliges Stück Literatur hat die Autorin da verfasst: auf den ersten Blick einen im amerikanischen Universitätsmilieu situierten Beziehungsroman, die Geschichte einer etwas speziellen jungen Frau und Akademikerin, die kein Glück mit den Männern zu haben scheint, ebensowenig wie in ihrer universitären Laufbahn, die am seidenen Faden einer Veröffentlichung über den französischen Schriftsteller Flaubert hängt, gegen die sich die Verlage des Landes verschworen haben. Doch das ist nur die blendende Oberfläche des Textes, in der sich immer wieder kleine Risse zeigen, um daran zu erinnern, dass das Leben einer Frau, die beruflich und erotisch gleichermaßen nach Erfüllung sucht, nicht so schwarzweiß gestrickt ist, wie es den Anschein hat — genauso wenig wie der Roman, der diesem Leben auf der Spur ist. In Cussets Text fließen viele Diskurse und Traditionslinien spielerisch ineinander, es geht um französische Literatur und amerikanische Universitätsstrukturen, um Schreiben und Geschlecht, um (fiktions)ironische Spiegelungen, um die Konstruktion und Dekonstruktion von Identitäten. Hier steht die französische Autorin, die selbst lange Jahre als Literaturdozentin in den USA gelebt und gelehrt hat, in der — über den Atlantik gespiegelten — Tradition von Paul Auster, dem Frankreich verehrenden amerikanischen Schriftsteller, der in seinen Romanen immer wieder auf gut lesbare Weise mit der Metaebene der Literatur experimentierte. Bemerkenswert ist außerdem, dass Catherine Cusset diesen Roman, der sich heute als eine vielschichtige Auseinandersetzung mit „MeToo“ lesen lässt, bereits 1999, viele Jahre bevor die überfällige Debatte von Amerika aus die Weltöffentlichkeit beschäftigte, geschrieben wurde.

Die Fiktionsironie bezieht sich schon gleich auf den Titel. Janes Roman heißt nämlich auch ein Roman in Cussets Roman, der somit aus einer äußeren und einer inneren Handlungsebene konstruiert ist; es ist der Titel eines Manuskripts, das der Protagonistin und Ich-Erzählerin Jane anonym zugestellt wird und in dem, ebenfalls in der Ich-Perspektive einer nun doppelt fiktionalisierten Jane, ihr Beziehungs- und Universitätsleben haarklein und unter Preisgabe intimster Details nacherzählt wird. In beiden Textebenen geht es um Literatur und Liebe, um intellektuelle und sexuelle Anziehung, um Illusionen und Hoffnungen, um Enttäuschung und Sehnsucht, um Frauen- und Männerbilder. Die Jane der äußeren Handlung verdächtigt nacheinander verschiedene Personen aus ihrem Umfeld, das Manuskript verfasst zu haben, und man rätselt mit ihr während einer Lektüre, in der man sich mehr und mehr in einen Krimi oder Thriller versetzt fühlt, zumal ein Überfall und gleichfalls anonyme anzügliche Botschaften an Jane die Atmosphäre zunehmend bedrohlich erscheinen lassen.

Dass man es nicht mit einem kitschigen Beziehungsroman zu tun hat, merkt man sehr schnell auch daran, dass eigentlich alle Figuren unsympathisch sind, oder zumindest unangenehme Seiten haben, Jane selbst nicht ausgenommen. Das liegt natürlich auch daran, dass das Manuskript, das Janes Leben re- oder auch dekonstruiert, durchaus etwas Manipulatives hat; die Jane der Rahmenhandlung glaubt mehr und mehr an einen im Schreiben ausgetragenen Akt der Rache. Auf diese Weise gestaltet sich die Geschichte, in der es viel um Begehren und Eifersucht geht, aber auch ambivalenter und spannender; man blickt umso kritischer auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, auf zu wenig hinterfragte Machtstrukturen und Ausbeutungsmechanismen, gleichermaßen erotischer wie beruflicher Art. Doch Jane ist weder selbst schuld an ihren vermeintlichen Niederlagen, wie es im Manuskript teilweise suggeriert wird, noch ist sie ein passives Opfer, auch wenn sie männlicher Übergriffigkeit ausgesetzt ist und ihre literaturwissenschaftlichen Thesen plagiiert werden. Man verfolgt auch den immerwährenden inneren Kampf der Protagonistin, sich gerade nicht zur Gefangenen ihrer Angst, ihrer Scham oder traditioneller und neuer Rollenvorstellungen machen zu lassen. Es geht um die Frage, wie ein weibliches Selbstbewusstsein aussehen kann, das weder Gefühle noch Ambitionen verleugnen muss, und inwiefern ein Beharren auf Eigenständigkeit und Unabhängigkeit auch mit einer aktivistischeren Interpretation von Engagement und Solidarität kollidieren kann. Die Debatte um Geschlechterrollen und -identitäten wird in Cussets diskursreichem Text zudem ausgedehnt von der sozialen auf eine literarisch-philosophische Problematik, unter anderem dadurch, dass die Protagonistin, die sich als Romanistin intensiv mit Flaubert auseinandersetzt, sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit der von ihr postulierten verdrängten weiblichen Seite des berühmten französischen Schriftstellers auseinandersetzt.

Im Roman gibt es eine augenzwinkernde Stelle, in der sich zwei Figuren darüber unterhalten, ob Universitätsromane einfach nur schrecklich langweilig sind. Catherine Cusset beweist mit ihrer Geschichte auf jeden Fall das Gegenteil.

Bibliographische Angaben
Catherine Cusset: Janes Roman, Eisele 2024
Aus dem Französischen von Annette Meyer-Prien
ISBN: 9783961611904

Bildquelle
Catherine Cusset, Janes Roman
© 2024 Julia Eisele Verlags GmbH, München

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